Homosexualität ist in seinem Land strafbar. Trotzdem gründete Hadi Damien die Beirut Pride. Am Tag gegen Homophobie, erzählt er uns, wie große Veränderungen möglich sind – trotz hohen Risikos.
Welche Strategien gegen Homophobie sind erfolgreich – vor allem in Ländern, die Homosexuelle kriminalisieren?
Im Jahr 2019 ist Homosexualität noch in gilt das für alle arabischsprachigen Nationen. Doch in dem kleinen Mittelmeerstaat Libanon machen Aktivisten, Lobbyisten und Anwälte seit Jahren Fortschritte im Kampf gegen die staatlich institutionalisierte Homophobie.
Vor knapp 2 Jahren schrieb ich einen Artikel darüber, dass Homosexuelle im Libanon bald keine Verbrecher mehr seien. Vor Ort erzählten mir Aktivisten von ihren Strategien. Wie sie heute beispielsweise mit der Polizei kooperieren, an Männern zugelassen hatte, um sie des gleichgeschlechtlichen Sexualverkehrs zu überführen. Eine komplett unsinnige Foltermethode. Auch gibt es immer mehr Richter, die Homosexualität nicht mehr strafrechtlich verfolgen. Das können sie aber. Der Artikel 534 im libanesischen Strafgesetzbuch – übrigens ein Relikt aus der französischen Mandatszeit – kriminalisiert den »widernatürlichen Sexualverkehr«.
534 muss weg! Dafür setzt sich Hadi Damien, der Gründer der größten arabischen mit all seiner Kraft ein. Seit dem Jahr 2017 organisiert er auch die gleichnamige in Beirut mit Veranstaltungen, um homosexuelles Leben im Libanon sichtbar zu machen. Letztes Jahr wurde er währenddessen festgenommen. Im Interview erzählt er, warum seine Festnahme wichtig war, wie Lobbyarbeit allen Widrigkeiten zum Trotz möglich ist und wie schwule Araber fetischisiert werden.
»Meine Festnahme war wichtig«
Du hast letztes Jahr die zweite Beirut Pride organisiert. Dann wurdest du in Gewahrsam genommen. Wie kam es dazu?
Hadi Damien:
Ein paar Homophobe waren wohl nicht sehr glücklich darüber, dass in Beirut eine Pride stattfindet. Sie nahmen sich das Programm der dafür geplanten Events im Mai 2018 vor und schrieben es so um, dass unsere Veranstaltungen unmoralisch, sexuell aufgeladen und konspirativ wirkten. Sie benutzten auch beleidigende Worte wie »Schwuchtel«, »Kampflesbe«, »sexuelle Perversion«. Das gefälschte Programm schickten sie über Whatsapp an die Strafverfolgungsbehörden, die dann eine Razzia während der Beirut Pride durchführten, den laufenden Programmpunkt stoppten (es war eine Theaterlesung) und mich festnahmen. Ich wurde in Gewahrsam genommen und übernachtete auf der Polizeiwache. Ich bewies am nächsten Tag in einem Verhör, dass das Programm, das auf Whatsapp zirkulierte, nicht der Beirut Pride zugeschrieben werden konnte. Die Generalstaatsanwaltschaft Beirut entschied sich trotzdem dafür, alle weiteren Veranstaltungen der Beirut Pride 2018 zu untersagen. Der Generalstaatsanwalt ließ mich frei, bevor ein Strafverfahren gegen mich eingeleitet wurde. Übrigens: Die nächste Beirut Pride findet dieses Jahr vom 28. September bis zum 6. Oktober statt.
Als ich dich vor diesem Interview auf den Vorfall angesprochen habe, hast du gesagt: »Meine Festnahme war wichtig« – was meintest du damit?
Hadi Damien:
Sie hatten nicht einfach nur noch einen Homosexuellen verhaftet, sondern sich mit der größten LGBTIQ+-Plattform im arabischsprachigen Raum angelegt, über die in mehr als 16 Sprachen in 330 lokalen, regionalen und internationalen Medien berichtet wurde. Und wir haben diesen Vorfall zu unseren Gunsten genutzt. Zum Beispiel war es das erste Mal, dass sich Strafverfolgungsbeamte auf ein vernünftiges Gespräch über Homosexualität einließen. Sie alle hatten einen Schwulen erwartet nach einem Klischee, das unsere Medien über Jahre aufgebaut haben. Sie sagten sogar, dass sie »nicht erwartet hatten, dass ich so bin, wie ich bin«. Sie konnten sich also mal ganz individuell mit einem Homosexuellen auseinandersetzen. Während meiner Befragung erkannten sie, dass sie noch viel zu entdecken haben. Ihre Wahrnehmung geriet ins Wanken. Die Kommunikation verlief reibungslos, und sie erkannten, dass wir wie jeder andere Einwohner vollen Respekt und Schutz verdienen. Verstehen heißt aber noch nicht, dass sie sich auch dafür einsetzen werden.
Libanesische Künstler wie Khansa, Alexandre Paulikevitch, die beliebte Band sprechen sich öffentlich für die Rechte Homosexueller aus und männliche Bauchtänzer bekämpfen Geschlechterstereotypen. Hat dies Auswirkungen darauf, wie frei man als schwuler Mann im Libanon leben kann?
Hadi Damien:
Khansa, Mashrou’ Leila und männliche Bauchtänzer wie sind kulturelle und erweitern den Raum für kulturelle Referenzen, in denen sich mehr und mehr Menschen wiederfinden. Wer sich nicht mit den heterosexuellen Narrativen identifiziert, dem können lokale, queere Künstler durch die gemeinsame Sprache eine Plattform bieten, um zu experimentieren und zu reflektieren. Ihre Arbeit geht gegen den Mainstream an, was vor allem die Jüngeren inspiriert. Darin kanalisiert sich Hoffnung, Kraft und Entschlossenheit. Wir werden scheitern, wenn sich junge Menschen alleingelassen fühlen, weil sie schwul, lesbisch, bi, trans*, intersexuell oder queer sind.
Die Lobby gegen Homophobie
Zukunftsorientiert, verständlich, werbefrei. Dafür stehen wir. Mit Wohlfühl-Nachrichten hat das nichts zu tun. Wir sind davon überzeugt, dass Journalismus etwas bewegen kann, wenn er sowohl Probleme erklärt als auch positive Entwicklungen und Möglichkeiten vorstellt. Wir lösen Probleme besser, wenn wir umfassend informiert und positiv gestimmt sind – und das funktioniert auch in den Medien. Studien haben gezeigt, dass Texte, die verschiedene Lösungen diskutieren, zu mehr Interesse führen, positive Emotionen erzeugen und eine erhöhte Handlungsbereitschaft generieren können. Das ist die Idee unseres Konstruktiven Journalismus.
Beirut Pride ist nicht nur ein Statement gegen das Gesetz, das Homosexuelle kriminalisieren kann – ihr setzt euch aktiv für die Abschaffung von Artikel 534 im libanesischen Strafgesetzbuch ein. Mit Erfolg. In den letzten Jahren haben mehrere Richter geurteilt, dass einvernehmlicher Sex zwischen Menschen gleichen Geschlechts nichts Unnatürliches ist. Hat dieser Artikel überhaupt noch Wirkung?
Hadi Damien:
Artikel 534 steht immer noch im Strafgesetzbuch und deshalb werden immer noch Männer und verurteilt, weil »sie feminin aussehen oder auf eine bestimmte Weise gehen oder weil sie bestimmte Bilder oder Gespräche auf ihrem Handy haben«. Vor einigen Wochen, im März 2019, weigerte sich der Militärstaatsanwalt, 4 Soldaten wegen Homosexualität strafrechtlich zu verfolgen. Im Juli 2018 stellte das Berufungsgericht in Metn fest, dass Artikel 534 nur Sex in der Öffentlichkeit und nicht im Privaten kriminalisiert. Andere Gerichtsentscheidungen in den Jahren 2009, 2014 und 2016 haben entschieden, dass homosexueller Geschlechtsverkehr nichts Unnatürliches ist, und ein Gerichtsurteil aus dem Jahr 2017 besagt, dass Homosexualität die Ausübung eines natürlichen Rechts ist. Andere Richter verurteilen Homosexuelle jedoch immer noch wegen »unnatürlichen Geschlechtsverkehrs«, ersetzen aber die Gefängnis- durch eine Geldstrafe. Im polizeilichen Führungszeugnis der Verurteilten steht das dann aber für die nächsten 10 Jahre vermerkt. Ein erniedrigendes, ungerechtes Verfahren, das außerdem die Jobsuche erschweren kann.
Jeder widernatürliche Sexualverkehr kann mit bis zu einem Jahr Gefängnis bestraft werden.Artikel 534, libanesisches Strafgesetzbuch
Wie funktioniert eure Lobbyarbeit?
Hadi Damien:
Zuerst setzen wir uns ein Ziel, das wir klar, einfach und zugänglich kommunizieren. In unserem Fall ist das die Entkriminalisierung der Homosexualität. Lobbying ist Kampagnenarbeit, und wir müssen die Menschen auf die Übergriffe gegen LGBTIQ+ aufmerksam machen. kommt es ständig zu Missverständnissen. Um denen entgegenzuwirken, pflegen wir eine offene Kommunikation mit Parlamentsmitgliedern, Ministern, Beratern, Sicherheitsbeamten, politischen Entscheidungsträgern, religiösen Behörden, Akademikern, Medienvertretern, Künstlern, LGBTIQ+-Personen, Freunden und Familie sowie der Öffentlichkeit.
Mit gezielten Informationen gehen wir gegen Mythen, Lügen und Vorurteile über Homosexualität an. Wir setzen uns auch privat mit Menschen zusammen. Wir verstehen, dass viele ihre Stimme nicht so erheben können, wie wir uns das wünschen. Unsere Projekte werden von Menschen mit Fachkenntnissen geleitet. Das heißt: Wir experimentieren nicht mit Beirut Pride, sondern wissen ganz genau, was wir da machen. haben wir beispielsweise mit Politikern, politischen Entscheidungsträgern, Politikwissenschaftlern usw. zusammengearbeitet, um die LGBTIQ+-Themen in politische Veranstaltungen zu bringen. Wir haben kürzlich einen Gesetzesvorschlag eingereicht, der die Kommunikation über HIV und den Schutz davor verbessern soll. Wir werden auch noch eine Beschwerde wegen der homophoben Sabotage der Beirut Pride letztes Jahr einreichen. Wir werden respektiert, weil wir konsequent sind. Wir lügen nicht, und wir arbeiten hart.
Was sollten Aktivisten deiner Meinung nach noch beachten?
Hadi Damien:
Auch wenn Amtspersonen homophob sind, sehen wir doch, dass LGBTIQ+-Menschen und ihre Netzwerke stärker sind als je zuvor. Veränderung geschieht auf beiden Seiten. Gesellschaften sind schwer zu verstehen, und am Wandel zu arbeiten ist nicht immer eine angenehme Sache. Das ist nicht jedermanns Sache. Du musst stabil, fokussiert, kommunikationsstark, positiv sein und bewusst auf deine Umgebung zugehen. Du musst dir deine Kämpfe aussuchen und nicht immer alles auf dasselbe Pferd setzen. Du machst Politik: Dies ist kein Bürojob mit geregelten Arbeitszeiten. Es ist ein endloser Prozess, der dich formt und den du im Gegenzug formst. Aktivismus ist kein Schlagwort wie »Influencer« und »Fashionista«. Du musst handeln, Eigenverantwortung übernehmen, scharfsinnig und entschlossen, aber dennoch freundlich sein, auch wenn du von Zeit zu Zeit einige Leute verärgern wirst. Sei auch auf Enttäuschungen vorbereitet: Sie kommen von den Menschen, die dir am nächsten stehen. Lass dich aber auch mal fallen in den Pool von Unterstützung, die du erhältst: Menschen werden deine Mühen respektieren und sich dankbar zeigen. Ihre Motivation treibt dich an und deine Leidenschaft verändert die Welt. Aktivismus zeigt Wirkung oder eben nicht.
»Arabiens schwule Party-Metropole«
In verschiedenen Medien wird der Libanon als und Beirut als beschrieben. Ermutigst du homosexuelle Paare, den Libanon zu besuchen?
Hadi Damien:
LGBTIQ+-Menschen sind bereits überall, und sie bereisen auch die Welt, nicht nur den Libanon. Wir müssen an die Orte gehen, wo sie nicht respektiert werden oder sogar bedroht sind. Damit sich dort etwas verbessert, müssen wir sichtbar sein. Jeder so gut er kann. Dabei müssen wir unsere eigenen Grenzen mitdenken und akzeptieren, dass jeder Ort seine eigenen Besonderheiten und Wirklichkeiten hat. Über die sollten wir uns im Voraus informieren und vor Ort mit den Bewohnern in Austausch treten – sie also nicht aus der Ferne beäugen, schließlich sind sie keine Zootiere.
Aber wie realistisch ist diese Darstellung?
Hadi Damien:
Der Libanon ist kein Zufluchtsort für LGBTIQ+-Menschen: Es gibt Misshandlungen, und alles kann sich jederzeit verschlimmern. Das gilt nicht nur für den Libanon, sondern für alle Länder. Überall sind Rechte – auch die »geschützten« – verletzlich und wir müssen uns dafür einsetzen, sie zu bewahren. Die Vielfalt der libanesischen Gesellschaft, wie sie sich in der Hauptstadt Beirut zeigt, fördert den Austausch von Ideen, Meinungen und Erfahrungen. Es ist dieses Zusammenleben, die Interaktion, die Beirut zu einer kosmopolitischen Stadt macht und den Rhythmus für das ganze Land vorgibt. Im Vergleich zu anderen arabischsprachigen Ländern gilt der Libanon als ein Ort, an dem LGBTIQ+ weniger Probleme haben; das ist aber eine sehr verallgemeinernde Perspektive.
Warum?
Hadi Damien: den temperamentvollen Araber, den blonden Europäer, den feurigen Latino, den kräftigen Afrikaner. Das sind alles Fantasievorstellungen, Stereotype, mit denen wir groß geworden sind und die wir in den Medien bestätigt sehen wollen. Und Journalisten produzieren ständig ein Fantasiebild von schwulen Männern im arabischsprachigen Raum. Aber nicht alle schwulen Libanesen sind muskelbepackte, stark behaarte, dunkle Männer, die in einem Nachtclub zu orientalischer Musik die Hüften schwingen, um sich vom Stress des schwulen Lebens im Libanon freizutanzen, weil sie sich vor Dabei schlafen sie mit anderen Männern, weil sie mutig sind und ihr Doppelleben mit ihrem »männlichen« Äußeren tarnen, während der Islamische Staat einige Kilometer entfernt die Straßen eines anderen Landes patrouilliert.
Quizfrage: Was haben alle schwulen Männer gemeinsam?
Wo siehst du noch diese Art, wie du es nennst,
Hadi Damien:
Fetischisierung wirkt in alle Richtungen. Zum Beispiel glauben viele Menschen, Schweden sind hellhäutig und haben blaue Augen. Und wenn man im Libanon jemanden trifft, der aus Schweden kommt und dunkle Haare hat, ist die erste Frage: »Woher kommst du?« Die Antwort: »Aus Schweden.« Dann kommt meist die erneute Frage: Auch wenn ich auf Reisen bin und Leute wollen, dass ich ihnen etwas über Beirut Pride erzähle, baut sich eine bestimmte Erwartungshaltung auf. Da kommt dieser arabische Typ aus dem Mittleren Osten. Wenn sie dann sehen, dass meine Haut nicht so dunkel wie die der arabischen Männer in Hollywood-Filmen und sind sie enttäuscht. Es braucht Selbsterkenntnis, um Stereotypen zu sehen und aufzuhören, diese wiederzugeben. Wir verharmlosen und lehnen ab, wenn wir etwas nicht verstehen, was zum Teil erklärt, warum Migranten und LGBTIQ+ oft ausgeschlossen werden. Dieselbe Stereotypisierung führt dazu, dass einige LGBTIQ+-Menschen sogar andere LGBTIQ+-Menschen ablehnen. Und sagen: Ja, ich bin schwul, aber ich will nicht mit einem anderen schwulen Mann oder einer Drag Queen in Verbindung gebracht werden. Die Wahrnehmung, die andere von mir haben, beeinflusst mein Verhalten. Wenn wir alle in den gleichen Topf werfen, ist das ein Bärendienst
Das Wort LGBT (+ weitere Suffixe) beschreibt auch eine große Gruppe von Menschen, zwar selbstbestimmt, dennoch – ist das nicht auch eine Form von Verallgemeinerung?
Hadi Damien:
Es ist semantisch. Quizfrage: Was haben alle schwulen Männer gemeinsam? 2 Dinge. Erstens: Sie fühlen sich körperlich und emotional zu Männern hingezogen. Zweitens: Sie sind Formen der Homophobie ausgesetzt, die auf der jeweiligen gesellschaftlichen Wahrnehmung fußt. Punkt. Ihre politische Einstellung, ihre wirtschaftliche Situation, die Sprachen, die sie sprechen, die Musik, die sie hören, alles andere unterscheidet sich. Gemeinschaft existiert, wenn es eine kollektiv bestätigte Identität gibt. Die »LGBTIQ+-Community« kann eine große Wirkung entfalten, wenn sie sich auf ein einheitliches Ziel fokussiert: die Entkriminalisierung von nicht-heterosexuellem Sex zum Beispiel. Andernfalls dient es nur den Sichtbarsten unten denen, die zusammen in einen Topf geworfen wurden. Es ist sehr gefährlich, unsere vielfältigen Charaktereigenschaften und unsere komplexen Identitäten darauf zu reduzieren. Jeder Mensch ist besonders und dessen Eigenheiten sollten nie verwässert werden. Ansonsten steckt man Menschen in Schubladen, ordnet sie in Kategorien ein, was dazu führt, dass Menschen außerhalb dieser Schubladen als Außenseiter gelten. Man sollte Menschen nicht in ein Korsett pressen – damit wiederholt man die Fehler totalitärer Systeme.
Mit Illustrationen von
Mirella Kahnert
für Perspective Daily
Juliane schlägt den journalistischen Bogen zu Südwestasien und Nordafrika. Sie studierte Islamwissenschaften und arbeitete als freie Journalistin im Libanon. Durch die Konfrontation mit außereuropäischen Perspektiven ist ihr zurück in Deutschland klar geworden: Zwischen Berlin und Beirut liegen gerade einmal 4.000 Kilometer. Das ist weniger Distanz als gedacht.