Bernhard Eickenberg und Maren Urner

Die Medien und die Frage: Wohin mit den Puzzleteilen?

7. Februar 2016
7. Februar 2016

Stell dir vor, du sitzt an einem Puzzle. Es heißt: Bild der Welt. Die einzelnen Puzzleteile: Nachrichten. Da ist ein Brandanschlag auf ein Flüchtlingsheim. Du versuchst, es an die eskalierte Demonstration linker Protestler anzulegen. Es passt nicht. Du legst es stattdessen in die Nähe des Berichts über den NSU-Prozess und beschäftigst dich erstmal weiter mit dem Teil über die drohende Hungersnot in Afrika.

Irgendwann wirst du die passenden Zwischenteile schon finden …

Nach mehreren Stunden hin und her stellst du fest: Nein, die Teile lassen sich nicht verbinden. In der Schachtel waren tatsächlich Puzzleteile von unterschiedlichen Puzzles, die sich nicht verknüpfen lassen. Du beschließt, das Puzzle trotzdem fertigzustellen, nimmst den Pinsel und beginnst, die Lücken mit Farbe zu füllen. Welchen Farbton wählst du? Vermutlich tiefes schwarz, denn fröhlich sehen die Einzelteile nicht aus.

Unser Weltbild aus Puzzleteilen, die nicht zusammenpassen

Jeden Tag erreichen uns viele Nachrichten, die wie Puzzleteile daherkommen, egal ob über das Fernsehen, Radio, Internet oder die Zeitung. Wir versuchen dann, aus den präsentierten Einzelereignissen das »große Ganze« – unser Bild der Welt – zu bauen. Wir füllen die Lücken, und nehmen dabei an, dass die Lücken in etwa so aussehen wie die Teile selbst. Das Problem dabei: Bei den Nachrichten handelt es sich häufig um extreme Einzelereignisse, die wenig repräsentativ für das alltägliche Weltgeschehen sind. Uns fehlen bei dieser Art der Berichterstattung Hintergründe und Zusammenhänge, um die Ereignisse einzuordnen und zu verstehen.

Fokus auf spektakuläre Einzelereignisse verzerrt unser Weltbild

Ereignisse, die von den Medien aufgegriffen werden, sind vorrangig negativ. Das liegt vor allem in der Natur der Sache: Um für Medien interessant zu sein, müssen Ereignisse außergewöhnlich, sogar spektakulär sein. Positive Entwicklungen sind eher langfristiger Natur und treten selten als Einzelereignisse auf. Außergewöhnliche Ereignisse sind häufig negativer Natur: Katastrophen, Skandale und Konflikte.

Was dann passiert, ist ein einfaches psychisches Phänomen: Je öfter wir bestimmte Dinge hören und sehen, umso stärker gehen wir davon aus, dass sie wahr sind und sich die entsprechenden Ereignisse häufen. Lesen wir viel von Flugzeugabstürzen, halten wir den Flugverkehr für gefährlich. Hören wir immer wieder von nächtlichen Übergriffen auf offener Straßen, gehen wir nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr aus dem Haus.

Wie negative Einzelereignisse unser Weltbild prägen

Das Problem: Wir schließen zu viel aus der Frequenz der Berichterstattung, die meist wenig mit den realen Verhältnissen zu tun hat. Die Medienberichterstattung ist eher vergleichbar mit den »Los Wochos« einer großen internationalen Schnellrestaurant-Kette: Sie folgt Trends und betont im Rhythmus der Zeiten bestimmte Themen. Sind Terrorattacken gerade »aktuell«, hören wir von Anschlägen aus aller Welt. Wird gerade das Thema Kindesmissbrauch diskutiert, scheinen sich plötzlich entsprechende Vorfälle zu häufen. Von der tatsächlichen Entwicklung der Zahlen bekommen wir wenig mit – und bauen so ein Weltbild voller Schrecken und Katastrophen auf. Du glaubst, dein Weltbild ist davon nicht betroffen? Dann stelle es auf die Probe, z.B. durch den Ignoranz-Test der Gapminder-Stiftung.

Ein aktuelles Beispiel gefällig? Nehmen wir die Anzahl an Verbrechen in Deutschland. Statistiken zufolge leben wir in der sichersten Bundesrepublik seit 2000. Die Rate an Verbrechen ist in fast allen Bereichen gesunken. Nehmen wir das auch so wahr? Die meisten werden wohl verneinen müssen.

Was uns für ein realistisches Weltbild fehlt, ist der Zusammenhang, die Einordnung der Ereignisse, von denen wir hören. Wie groß ist die Gefahr im Vergleich zu anderen Risiken, die wir tagtäglich eingehen, wenn wir beispielsweise in unser Auto steigen? Stehen die vermehrt in der Berichterstattung erscheinenden Fälle von Mord und nächtlichen Überfällen für eine generelle Steigerung der Kriminalität? Nur, wenn wir die Zusammenhänge vermittelt bekommen, also mehr zusammenhängende Stücke des Puzzles erhalten, können wir ein realistisches Weltbild formen.

Kurz-Nachrichten lassen sich schnell »recherchieren«

Warum fehlen diese Zusammenhänge in den Medien häufig? Ein Grund dafür ist sicherlich, dass sich Einzelereignisse leichter recherchieren lassen als das »große Ganze«. Bei den klassischen W-Fragen geht es um eine schnelle Beschreibung der Situation: »Was ist wo und wann passiert?«, »Wer hat was getan?« und »Wer hat was gesagt?« - schon das »Warum?« kommt oft zu kurz. Fragen dieser Art werden typischerweise durch Pressemitteilungen oder in Pressekonferenzen von Behörden und Politikern beantwortet. Sie können ohne aufwendige Hintergrund-Recherche weitergegeben werden.

Gerade in Zeiten, in denen der Journalismus aufgrund von sinkenden Einnahmen durch Werbeanzeigen auf der Suche nach neuen Finanzierungsmöglichkeiten ist, können Inhalte so mit wenig Aufwand produziert werden – und bei mehr Kurz-News mehr Anzeigen angezeigt werden.

Psychische Folgen der einseitigen Negativ-Berichte

Die Folgen sind spürbar : Wenn die negativen Ereignisse überwiegen, formen wir nicht nur ein zu negatives Weltbild, sondern verlieren auch das Vertrauen in die Welt und unsere Mitmenschen. Wir fühlen uns zunehmend gestresst und hoffnungslos und wenden uns von den klassischen Medien und den Problemen der Welt ab. Wir treffen unsere Entscheidungen außerdem auf Grundlage eines falschen, verzerrten Weltbildes.

Es wird also Zeit, diesen Kreislauf zu durchbrechen. Mit Analysen, die nicht nur auf die Ereignisse eingehen, sondern sie auch mit Hintergründen und Zusammenhängen versehen und uns so helfen, sie einzuordnen. Und mit einer Berichterstattung, die auch Auswege und Lösungen diskutiert – nicht einseitig, sondern konstruktiv.

Zeit für Recherche von Autoren mit Leidenschaft und Fachwissen

Genau das ist es, was wir mit Perspective Daily erreichen möchten. Gemeinsam mit Autoren, die das »große Ganze« im Blick haben, die Zeit für die Recherche von Hintergründen erhalten. Und die in der Lage sind, Zusammenhänge in Artikeln interessant und verständlich aufzuarbeiten. Mit Beiträgen, die in die Tiefe gehen, ohne euch zu überfordern. Und gemeinsam mit Mitgliedern, die unsere Vision teilen und uns helfen, ein Medium aufzubauen, das neue Perspektiven zeigt – weil es Lösungen gibt!

Titelbild: Kevin Dooley - CC BY

 

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