Ein ganz normaler Schulhof, irgendwo in Als die Klingel schrillt, strömen die Schüler zur großen Pause auf den Hof. Doch etwas ist anders: In großen Trauben sammeln sie sich um die kleinen Bildschirme weniger Smartphones. Ungläubiges Kopfschütteln.
Meine Frau, eine Deutschlehrerin, will wissen, was sie so aufregt. Die Displays der Schüler zeigen Personen, die sich ihren Mund aus Protest überklebt haben und ihre Fans, deren Zahl in die Hunderttausenden geht, »Wir haben Angst«, sagt ein 13-Jähriger. »Die wollen Youtube abwürgen. Die wollen unser Internet kaputt machen! Wir gehen auf die Straße!« Und das tun sie. 1.500 Demonstranten waren vergangenes Wochenende allein um doch noch zu verhindern, was »die« planen.
»Die« – das sind die Politiker der EU, genauer das Parlament, der Ministerrat und die Sie haben hinter verschlossenen Türen gerade den Unter diesem kryptischen Namen verbirgt sich ein hoch umstrittener Abschnitt einer Urheberrechtsrichtlinie, an der die EU seit Jahren arbeitet.
Zukunftsorientiert, verständlich, werbefrei. Dafür stehen wir. Mit Wohlfühl-Nachrichten hat das nichts zu tun. Wir sind davon überzeugt, dass Journalismus etwas bewegen kann, wenn er sowohl Probleme erklärt als auch positive Entwicklungen und Möglichkeiten vorstellt. Wir lösen Probleme besser, wenn wir umfassend informiert und positiv gestimmt sind – und das funktioniert auch in den Medien. Studien haben gezeigt, dass Texte, die verschiedene Lösungen diskutieren, zu mehr Interesse führen, positive Emotionen erzeugen und eine erhöhte Handlungsbereitschaft generieren können. Das ist die Idee unseres Konstruktiven Journalismus.
»Urheberrecht, Richtlinie, Artikel«, das klingt erst mal nach wenig aufregender Politikroutine. Tatsächlich ist eine Überarbeitung des Urheberrechts für das digitale Zeitalter längst überfällig. Doch die Jugendlichen haben in all ihrer Panik nicht so ganz Unrecht. Denn würde die Richtlinie mit so vom EU-Parlament angenommen, könnte das das Internet in Europa nachhaltig verändern und ein gutes Stück unfreier machen.
Und zwar nicht nur für Youtuber, sondern für uns alle.
Was interessieren mich die Nöte von Youtubern und ihren Fans?
Stell dir vor, du bist in einem Museum und findest ein Gemälde besonders schön. Du fotografierst es mit deinem Smartphone und möchtest es mit deinen Freunden teilen, sagen wir über Facebook. Bisher ist das kein Problem. Klar steht am Eingang des Museums irgendwo – aber wer soll das schon mitkriegen? Und schwupps ist es im Netz.
Mit Artikel 13 könnte dein Handy dir stattdessen etwa so antworten: »Tut uns leid. Dieses Gemälde ist urheberrechtlich geschützt und darf nicht von Dritten veröffentlicht werden.«
Natürlich ergibt es auch Sinn, die Rechte von Urhebern zu schützen. Doch die Entscheidung darüber, was du fotografierst, kopierst und hochlädst, liegt mit Artikel 13 einfach nicht mehr bei dir. »Uploadfilter« nennt sich die Technologie dahinter, die schon während des Hochladens überprüft, ob es legal ist, was du da versuchst – und dich im Zweifelsfall daran hindert. Und das ist nicht nur entmündigend, sondern sogar gefährlich.
Denn um die Menge an Inhalten in Sekundenbruchteilen zu bewältigen, müssen Computeralgorithmen die Uploadfilter steuern. Doch wie sie genau funktionieren, ist ein Geheimnis der Unternehmen, die sie entwickeln. Was wir aber wissen, ist, dass sie vor allem fehleranfällig sind. Das beweisen Die Plattform nutzt seit Jahren ein algorithmengesteuertes System namens Content ID, um Urheberrechtsverletzungen aufzudecken. Und das meldet regelmäßig ganz legale Videos als Verstöße. Vor allem bei Nachrichten, Zitaten oder Parodien versagen die Algorithmen regelmäßig. Von kreativen Memes, Samples oder Remixen
Wie weit das gehen kann, zeigt das Experiment eines Sein 5-Stunden-Video mit einfachem statischem Rauschen erhielt gleich 5 Copyright-Mahnungen. Absurd? Nein, absoluter Normalzustand, wenn fehleranfällige Algorithmen hoch komplizierte Entscheidungen treffen sollen. Und dass diese Systeme in Zukunft spontan sehr viel besser werden, ist reines Wunschdenken.
Artikel 13 bedeutet dann für dich: Auch wenn in deinem Museum fotografieren erlaubt wäre, könnte dein Handy dir möglicherweise verbieten, das schöne Bild hochzuladen. Sorry, im Zweifelsfall gegen den Nutzer. Und das wäre automatisierte, Schlimmer noch: Einmal aufgebaut wären Uploadfilter eine digitale Infrastruktur, die leicht für echte Zensur missbraucht werden könnte.
Doch auch ohne den Teufel an die Wand zu malen, sind zu viele Dinge noch Würden die Uploadfilter auch bei privaten Nachrichten über Whatsapp greifen? Was ist mit dem Versenden über soziale Medien, aber mit Privatsphäre-Einstellungen nur an ausgewählte Freunde? Und was ist mit Livestreams von digitalen Spielen auf Plattformen wie Twitch? Hier müssten Gerichte entscheiden, je nachdem wie Deutschland die EU-Richtlinie dann umsetzt. Und raufen sich jetzt schon die Haare über das entstehende rechtliche Chaos.
Das sagt die Politik und das steckt tatsächlich dahinter
»Moment, nicht so schnell!«, halten auch aus Deutschland dagegen. Im Entwurf stünde ja gar nichts von Uploadfiltern. Und es ginge doch gar nicht um Zensur, sondern nur darum, den viel beschworenen zu beenden. Vor allem, damit Urheber von ihrer Arbeit besser leben können.
»Eine Verpflichtung von Plattformen zum Einsatz von Upload-Filtern […] lehnen wir als unverhältnismäßig ab.« – Koalitionsvertrag von CDU und SPD, 2018
Das klingt fast einleuchtend, ist bei genauerem Hinsehen aber bloße Augenwischerei. Nehmen wir die 2 Gegenargumente auseinander:
Artikel 13 heißt auch Uploadfilter: Plattformen wie Youtube oder Facebook sind für Inhalte ihrer Nutzer verantwortlich. Bisher greift diese Verantwortung aber erst dann, wenn die Plattformen auf Verstöße hingewiesen werden und gemahnte Inhalte Und genau hier verändert Artikel 13 ein entscheidendes Detail: Denn damit wären diese Plattformen sofort ab dem Moment des Uploads der Nutzer haftbar. Ohne vorherige Filterung der Inhalte müssten sich Facebook, Google und Co. auf eine Kaum vorstellbar und praktikabel. Die einzige logische Reaktion der Plattformen sind automatische präventive Systeme – also Uploadfilter. Ob diese nun in der Richtlinie erwähnt werden oder eben nicht, ist für das Ergebnis egal. Und das wissen die Politiker auch, daher ist das aktuelle »Wir haben aber das Wort, über das ihr euch aufregt, da gar nicht reingeschrieben«-Spiel ernst zu nehmender Politik einfach unwürdig.
Artikel 13 ist nicht für alle Urheber gemacht: Hört man den verantwortlichen Politikern zu lange zu, so könnte man denken, dass sie nur eine Lanze für die Urheber brechen – also alle armen Künstler, Autoren und Musiker, die an der Existenzgrenze versuchen, von ihren Werken zu leben. Dumm nur, dass etwa der Bertelsmann-Konzern, der zahllose Urheber vertritt, Dazu lehnen viele Produktionsfirmen und Inhaber von Film-, Fernseh- und Sportrechten – wie etwa die Deutsche Fußball Liga – Und die Proteste gegen Artikel 13 führen nicht etwa Konsumenten an, sondern bei der Jugend beliebte
Für wen soll das Gesetz also Für kleinere, europäische Content-Plattformen, um gegen die US-Größen wie Facebook und Co. bestehen zu können? Wohl eher nicht, denn diese können sich die Entwicklung von Uploadfilter-Software kaum leisten. Wer sich hingegen freut, sind Urgestein-Verwertungsgesellschaften wie die die ordentlich Lobbyarbeit für Artikel 13 betrieben hat. Na klar, denn sie wollen schließlich Dabei haben Urheber längst neue Wege gefunden und experimentieren auf Plattformen wie und Co., auch ohne die alten Mittelsmänner. Kein Wunder, dass diese kalte Füße kriegen.
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Eines soll nicht unerwähnt bleiben: Auch unter Politikern ist Artikel 13 Doch kritische Stimmen wie die der Staatsministerin für Digitalisierung, verhallen bisher ungehört bei den Verantwortlichen. Immerhin könnte der öffentliche Gegenwind sie nun etwas lauter machen.
So geht es weiter
An dieser Stelle mahnt mich mein journalistisches Gewissen dazu, zu differenzieren und festzuhalten: Nein, auch mit Artikel 13 wären große Plattformen nicht am Ende. Und ja, auch Youtube spielt in diesem Spiel schmutzig und spannt Urheber für den Erhalt der eigenen Und natürlich ist der Protest gegen Artikel 13 gerade »Trend« und einige Youtuber nutzen das auch für billige Klicks.
Dennoch: So, wie Artikel 13 gerade auf den Weg gebracht wird, stehen derzeit alle Vorzeichen auf Karambolage. Die verantwortlichen Politiker zündeln sich kurz vor der Europawahl eine herbei, angeheizt von deren Lieblings-Youtube-Stars. Dass der rechtschaffene Kampf für ein freies Internet aber ausgerechnet unter #NieMehrCDU-Hashtags geführt wird, ist unglücklich, führt von der Sache weg und treibt einen Keil zwischen Kritiker und Verantwortliche. Wenn dann Europapolitiker wie Sven Schulze (CDU) E-Mails in ihren Posteingängen zu Artikel 13 kurzerhand befeuert das nicht nur , sondern auch das Märchen vom distanzierten europäischen Bürokratenstaat. Die AfD dürfte ihr Glück über diese Steilvorlage gerade kaum fassen können.
Natürlich wird ein neues Urheberrecht irgendwann kommen. Nur vielleicht eben nicht dieses. Schließlich müssen noch das EU-Parlament und die EU-Länder dem aktuellen Vorschlag Ende April zustimmen. Genug Zeit, den verantwortlichen EU-Politikern zu zeigen, dass die Bedenken gegen Uploadfilter eben nicht »fake« sind, und um die Politiker in eine neue Bearbeitungsschleife zu schicken. Denn machen wir uns nichts vor: Einen völlig neuen, revolutionären Ansatz zum europäischen Urheberrecht im Internet wird es wohl nicht geben. Und auch bei allem Gegenwind zu Artikel 13 ist klar, dass Urheber auch im digitalen Zeitalter irgendwie für ihre Arbeit bezahlt werden müssen. Es geht also am Ende »nur« um einen besseren Kompromiss – nur eben in einer verflixt wichtigen Sache.
Und wenn ein weiteres Mal nachverhandelt wird, haben die Verantwortlichen auch genug Nachsitz-Zeit, um darüber nachzudenken, wie sie den nächsten Entwurf besser kommunizieren können. Vielleicht klappt es dann ja ohne respektlose Seitenhiebe auf die Proteste besorgter Erstwähler.
Doch was die aktuelle Debatte um Artikel 13 vor allem zeigt, ist: Die Jugendlichen sind alles andere als unpolitisch. Sie lassen sich nicht für dumm verkaufen. Sie informieren sich und sind bereit, und links liegen zu lassen und nicht nur für sondern für echte Politik auf die Straße zu gehen – wenn man ihren Nerv trifft. Wenn Europa wirklich auf die Zukunft setzen will, dann tun wir alle gut daran, ihnen jetzt zuzuhören.
Dirk ist ein Internetbewohner der ersten Generation. Ihn faszinieren die Möglichkeiten und die noch junge Kultur der digitalen Welt, mit all ihren Fallstricken. Als Germanist ist er sich sicher: Was wir heute posten und chatten, formt das, was wir morgen sein werden. Die Schnittstellen zu unserer Zukunft sind online.