Kribbelt es noch oder liebst du schon?
WGs, alte Schreibtische und Wind im Gesicht – 10 Spielarten der Liebe, die unsere Autoren unerwartet glücklich machen.
Sie schauen einander tief in die Augen, dann umarmen sie sich für einen leidenschaftlichen Kuss. Beide spüren die Schmetterlinge im Bauch, die Welt scheint stillzustehen. Es hat gefunkt.
Sieht so die echte Liebe aus?
Zumindest ist es genau das, was uns Hollywood, die Musikindustrie oder die Werbebotschaften am Valentinstag vermitteln und verkaufen wollen: 2 Menschen, ein Happy End mit Gänsehaut – und natürlich Sex. Wir sind ja nicht mehr prüde.
Das ist Liebe auf den ersten Kick / nicht mal Drum ’n’ Bass hält jetzt mit Deinem Herzen Schritt – Absolute Beginner, Liebes Lied
Darüber könnten die alten Griechen wohl nur lachen. Denn sie hatten für Liebe in all ihren Formen und Facetten unterschiedliche Wörter – und meinten mit jedem etwas anderes: »Eros« etwa meint die sexuelle Liebe und Leidenschaft, »Ludus« das spielvolle Flirten und Verliebtsein, »Pragma« eine ernste, langandauernde Partnerschaft.
Eines sollten wir von ihnen lernen: Liebe ist viel mehr als nur das schöne Gefühl beim ersten Kuss. Alle anderen Formen der Liebe sind genauso großartig und wert, besungen und gefeiert zu werden.
Fühlt sich deine Liebe wie meine an?
von Maren Urner
Der Zustand der Verliebtheit gleicht einer Psychose.
Wenn wir versuchen, unsere Emotionen in Worte zu fassen, ist das meist herausfordernd – schließlich versuchen wir, unser Innerstes nach außen zu kehren. Zum wahren Drahtseilakt wird es aber, wenn es darum geht, unsere
Mal abgesehen von den vielleicht
In der Philosophie gibt es
Und gerade darum finde ich das Konzept der Qualia so liebenswert: Es führt uns vor Augen, dass unsere Wahrnehmung,
Die Liebe zu meiner Herkunft
von Stefan BoesIch habe in verschiedenen Städten gelebt und gearbeitet. Ich habe viele Städte bereist und genieße es, nach langer Zeit in eine Stadt zurückzukehren und mich gleich in ihr aufgehoben zu fühlen. Dieses Gefühl, wenn fremde Städte plötzlich heimisch werden, kennen sicher viele Menschen. Ich denke an Berlin, Florenz, Salzburg, das südschwedische Ystad. In der Welt zu Hause zu sein ist ein Privileg unserer Zeit.
Doch es gibt einen ganz besonderen Ort für mich. Nur dort ist mir ein Gefühl geblieben, das ich vielleicht am besten mit diesem großen, etwas altmodischen und auch nicht unumstrittenen Wort beschreiben kann: Heimatliebe.
Ich komme aus einer kleinen Stadt in der Nähe von Münster. Mit 21 Jahren bin ich weggezogen, alle paar Wochen komme ich noch immer zurück. Oft unternehme ich dann ganz allein Wanderungen und Radtouren in den umliegenden Dörfern und Wäldern. Dann denke ich manchmal: »Das hier ist der Boden, auf dem ich gewachsen bin. Und so wie hier riecht die Erde nirgendwo sonst auf der Welt.«
Jede Straße und jeden Bordstein zu kennen vermittelt mir ein Gefühl von Sicherheit. Es ist auch der Ort meiner Familie; fast alle meine Verwandten leben dort. Auch deswegen bedeutet dieser Ort etwas für mich, das in der mobilen, globalen Welt nicht so einfach zu kriegen ist: Zugehörigkeit, Identität, Lebensgeschichte. Vielleicht sind das viel passendere Ausdrücke als das Wort Heimat. Aber ich möchte Heimatgefühle nicht den Nationalisten und Rassisten überlassen. Denn das, was ich mit meiner Herkunft verbinde, ist nicht blind, nicht rückwärtsgewandt – und schon gar nicht rechts. Heimatliebe ist für jeden, der den Grund unter seinen Füßen liebt.
Deswegen kehre ich immer wieder zurück an diesen Ort. Nur um zu sehen, dass dort noch alles ist, wie es immer war, während mein Leben im steten Wandel ist.
Die Freude, nicht zurückgeliebt zu werden
von Felix AustenWenn wir unseren Geliebten anschauen, suchen wir Feedback, eine Reaktion, Anerkennung. Wir wollen zurückgeliebt werden von unserem Teenie-Schwarm, der eigenen Mutter oder der neugeborenen Tochter.
Doch das passiert nicht immer. Der Angehimmelte hat sich in jemand anderen verguckt, Mutter hat gerade größere Sorgen und der kleine Winzling beherrscht rein motorisch noch nicht den liebevollen Blick. Das kann wehtun, nichts zurückzubekommen – Herzschmerz.
I used to wander all up and down / Waiting for love from someone
Manchmal fällt unsere Liebe sogar auf etwas, das unsere Gefühle niemals wird erwidern können: auf Musik,
Nein, Liebe zu spenden ist eben nicht vergeblich. Solange wir nicht chronisch unterversorgt sind mit Liebe, lernen wir es vielleicht zu schätzen, das unerwiderte Lieben. Am Sprichwort ist etwas dran: »Geben ist seliger denn Nehmen«.
Diese Liebe – ganz frei von Erwartungen – ist dabei mehr als eine altruistische, heldenhafte Geste. Einfach zu lieben ist auch für uns selbst gut. Denn unsere eigene Liebe ist von nichts und niemandem abhängig. Sie ist immer da, auch wenn wir gerade mal planlos und einsam durch die Straßen des Lebens taumeln.
I was waiting for affection / But I was looking in the wrong direction […] What I needed was not so much to be loved as to love
Die Liebe, die immer wieder bleibt
von Dirk WalbrühlFlaute im Bett, Schweigen am Küchentisch, man kennt sich ja zu gut? Denken wir an eine »alte Liebe«, ist es schwer, die typischen Negativbilder auszublenden. Dabei wird das Gefühl mit der Zeit nicht automatisch schwächer. Es verändert sich nur – so wie die Liebenden selbst.
Ich bin nicht mehr der Student, der sein Glück in einem Park nicht fassen konnte, weil ihm eine wunderschöne Studentin im schneeweißen Sommerkleid ein Lächeln zuwarf, das mehr versprach. Seit 15 Jahren sind wir mehr als bloß »verliebt«.
Wenn wir heute nebeneinander aufwachen, dann schauen wir einander ohne rosarote Brille in die Augen. Die hässlichsten Seiten? Schon gesehen. Herausforderungen? Gemeinsam gemeistert. Die empfindlichen Punkte? Alle gefunden. Diese vertraute Liebe hat wenig mit aufgeregten Schmetterlingen zu tun – sie ist ruhender, tiefer, ehrlicher. Wir wissen genau, wer der andere an unserer Seite ist und dass wir nie wieder ohne ihn sein wollen. Auch dann, wenn er sich verändert …
Denn nach 15 Jahren wissen wir längst, dass die Zeit an niemandem spurlos vorübergeht. Und das ist eigentlich sogar das Schönste an einer lang andauernden Liebe.
Denn so habe ich meine Frau nicht nur einmal kennen und lieben gelernt, sondern Dutzende Male: ihre neuen Facetten, Interessen, Vorlieben. Und sie meine. Und jetzt lernen wir uns gemeinsam in einer neuen Rolle kennen: als werdende Eltern.
An meine Freunde – eine andere Liebeserklärung
von Katharina EhmannVon Freundschaft wird weniger erwartet als von der Liebe. Keine Leidenschaft, kein »für immer und ewig«, keine Exklusivitätsansprüche und nicht diese seltsame Idee, »alles, was ich brauche« in nur einer Person finden zu wollen. Gegenüber dem Partner begnügen sich Freunde oft mit Nebenrollen. Dabei sind sie nicht weniger wichtig, nicht weniger ernst gemeint. Auch echte Freundschaft bedeutet »in guten wie in schlechten Zeiten«.
Wenn ich an meine Freunde denke, dann an einen müden Kopf, der sich an meine Schulter lehnt, an strahlende Augen, wenn wir im selben Moment das Gleiche gesagt haben. Ich denke an eine Hand, die meine greift, als ich mich verloren gefühlt habe. Und an die Körperwärme, die neben mir auf der Couch Geborgenheit gibt.
Bei meinen Freunden fühle ich mich wertvoll, ohne jede Anstrengung. Diese Freundschaften sind auch Liebesgeschichten. Nur eben stiller.
Und da ist noch eine andere Seite: Denn meine Freunde fordern mich heraus, mich mit meinen Schwächen und Zweifeln, mit ihren Macken und Krisen auseinanderzusetzen. Da, wo wir uns ähnlich sind, halten sie mir den Spiegel vor. Und da, wo sie anders sind, lerne ich von ihnen. Gemeinsam lernen wir Verletzlichkeit.
Alles in einer WG
von Teresa LiesenfeldIch komme nach einem viel zu langen Tag aus dem Büro, bin müde und genervt und verschwinde einfach nur ins Bett. Da klopft es zaghaft an der Tür. Meine Mitbewohnerin steckt ihren lockigen Kopf durch den Spalt und fragt, ob alles in Ordnung ist. Erst grunze ich als Antwort, aber dann schwallt es nur so aus mir heraus. Und sie hört mir zu.
Früher habe ich gedacht, dass man in einer WG mit Freunden zusammenwohnt, Spaß hat und Party macht. Doch meine WG ist mehr.
Ist die Welt gemein zu mir, habe ich hier seit mehr als 4 Jahren mein emotionales Zuhause. Es ist nicht nur die Wohnung, es ist diese Mischung aus Menschen, die trotz Unterschieden einfach zusammen funktionieren.
In gewisser Weise ist das wie die Liebe in einer funktionierenden Partnerschaft – nur eben zu vielen Menschen: Wir teilen, schließen Kompromisse, passen aufeinander auf und respektieren unsere Grenzen. Mittlerweile kennen wir uns, wie sonst niemand uns kennt. Und bei Kummer oder Sorgen ist hinter jeder Tür ein offenes Ohr. Und ja, wir zoffen uns manchmal auch und nerven einander – aber wo gibt es das nicht?
Gegenüber einer Beziehung hat meine WG einen klaren Vorteil: weniger Erwartungen. Wenn ich meine Tür mal nicht aufmache, fühlt sich niemand gekränkt. Und jeder von uns weiß: Irgendwann ist unser Zusammenleben vorbei. Wir führen eine Beziehung auf Zeit. Aber das macht diese Zeit auch zu etwas ganz Besonderem: Wir begleiten uns gegenseitig in einem intensiven Lebensabschnitt, beim Erwachsenwerden, bei persönlichen Veränderungen.
Wir sind wie Familie. Nur dass wir uns gegenseitig ausgesucht haben.
Die Liebe zur See
von Kerrin KlüwerWenn ich in den Dünen stehe und sich meine Lungen mit salziger Luft füllen, dann schlägt mein Herz schneller. Das Geräusch, wenn die Wellen gegen den Strand klatschen, lässt meinen Kopf klarer werden. Beim Blick in die Weite bis zum Horizont ist da dieses verrückt prickelnde Gefühl in meinem Bauch.
Ich liebe die Nordsee.
Dass der Himmel hier häufig grau ist und der Wind nass peitscht, bis die Ohren schmerzen, ist mir egal. Das ist Natur, das muss so! Am Meer kann ich atmen, das Gesicht in die Brise halten. Die weiße Gischt verschluckt alle Sorgen. Hier bin ich frei, hier kann mir niemand den Wind aus den Segeln nehmen!
Es ist kein von Menschen gemachter Ort, der mich anzieht, es ist die See selbst und alles, was sie hervorbringt: raue Menschen mit wilden Herzen, aufrechte Abenteurer und graubärtige Kapitäne. Sie wissen viel mehr über diese Welt, als ich es je tun werde. Hier im Norden haben sie verstanden, dass sie nie eine Chance gegen die Natur haben – und nehmen die Gezeiten einfach, wie sie sind.
Ich liebe mich selbst
von Pascal KornatzFür andere haben wir oft viel Liebe und Zuwendung: Partner, Freunde,
Genau. Ich!
Ich war lange Zeit nicht gerade nett zu mir. Täglich bin ich von Termin zu Termin gehetzt, habe mich wegen unerledigter Aufgaben gestresst und fürs Ausschlafen am Samstag geschmäht. »Bloß nichts Sinnloses tun«, »Die anderen kommen zuerst«, »Ich habe das nicht verdient«. Das kann auf Dauer nicht gut gehen.
Gesellschaftlich lernen wir, zu teilen, zu helfen und selbstlos zu sein. Selbstfürsorge lernen wir selten, wirkt sie doch eher wie ein gesellschaftlicher Mittelfinger. Doch mit »Egoismus« oder »Selbstverliebtheit« hat das nichts zu tun. Ich zog die Handbremse und beschloss, mir selbst zu zeigen, was ich mir wert bin. 3 Fragen schossen mir sofort durch den Kopf: »Was wollte ich schon immer mal machen?«, »Was traue ich mich nicht?« und »Was
Meine Antworten sind natürlich nur meine eigenen. Meine Liebeserklärung an mich selbst mündete in einem ganzen Tag Zeit. So fand ich mich morgens in den Händen eines Barbiers wieder, der mit warmem Rasierschaum meinen Bart hegte und pflegte, genoss tagsüber allein das Rauschen meiner Gedanken statt der Erzählungen meines Partners und spürte abends den nassen Schweiß meinen Rücken herunterperlen, als ich mit mir selbst in der Sauna war. Das war es! Diese »Zeit für mich« machte mich glücklicher, aktiver und dankbar – Gefühle, die noch tagelang in mir nachhallten.
Ich habe mir auf jeden Fall vorgenommen, mir in meinem Kalender häufiger Termine nur für mich zu blocken, bevor ich mich wieder selbst vergesse. Denn ein wenig Selbstliebe lässt mich wieder spüren, was ich brauche und wer ich eigentlich bin.
Ach du liebes Ding!
von Juliane MetzkerUm das gleich klarzustellen – mit
Ich liebe meine Dinge … aber anders. Ich vergleiche dieses Gefühl für Objekte eher mit dem eines Kindes für seine Plüschtiere.
War die
Natürlich bin ich heute nicht mehr in meiner Pippi-Langstrumpf-Zöpfe-Phase. Dennoch schätze ich den Schreibtisch wert, an dem ich meine Bachelorarbeit geschrieben habe, und das Fahrrad, mit dem ich jeden Tag viele Kilometer zur Arbeit gefahren bin. Meine Erinnerungen sind doch an diese Dinge gebunden. Und ich bin auch seltsam traurig, wenn ich von einem dieser Dinge Abschied nehmen muss.
Aus dem Gefühl habe ich eine Tugend gemacht: Ich kaufe wenig Neues und versuche Altes zu reparieren. Und wenn ich mir mal etwas anschaffe, dann am liebsten in Secondhandkaufhäusern. Mir gefällt es nämlich auch, Dinge zu kaufen, die bereits eine Geschichte haben und vielleicht jemandem anderen etwas bedeutet haben.
Ich bin mir sicher, jeder hat in seiner Wohnung Dinge, die schöne Erinnerungen wachrufen. Und wer die volle Liebesdröhnung braucht – ab in den Keller und die Vergangenheit aus den Boxen holen.
Muss es denn immer die Ekstase sein?
von Benjamin FuchsAls ich für unseren Teamtext über die Liebe nachgedacht habe, kam mir das Lied der wenig bekannten Berliner Band
Überflüssige Liebeslieder/ falsch und schlecht und laut / Tun so als wär’ das Leben / auf der Sehnsuchtsbasis aufgebaut.
In meinem Ohr hörte sich das Liebesdrama der Band Fettes Brot in
Genau so wird die Liebe bis heute von der Unterhaltungsindustrie dargestellt: als ständiger Erregungszustand, nachgespielt im wahren Leben. Und wer selbst nicht 365 Tage im Jahr so intensiv liebt wie in Hollywood, kann am Valentinstag wenigstens einen Ablass-Blumenstrauß kaufen.
Mich irritiert das inzwischen. Ich plädiere für weniger Kevin Costner und mehr Lassie Singers. Denn sie sind nicht desillusioniert, sie haben einfach Recht: Liebe ist schön, aber es gibt noch viel mehr als den Ausnahmezustand. Es gibt Partnerschaft, Zuneigung, Freundschaft. Und es gibt das ganz normale, unaufgeregte Leben. Und das ist es allemal wert, wertgeschätzt zu werden.
Mit Illustrationen von Mirella Kahnert für Perspective Daily