Wie geht Sex und Liebe auf Deutsch?
Warum sexuelle Aufklärung für geflüchtete Jugendliche viel weiter geht, als nur Kondome über Holzpenisse zu ziehen.
»Nahleh« heißt Biene auf Arabisch und »Wardeh« die Blume – aber wer Sex mit Bienchen und Blümchen erklären will, erntet von geflüchteten Jugendlichen bestenfalls ein Stirnrunzeln. Sex, Beziehung und Liebe ist aber für sie genauso wie für deutsche Teenager ein ziemlich wichtiges Thema. Und darüber wollen sie sprechen. Aber wie klärt man sie in Deutschland über Sex und Liebe auf?
Viele Fragen über Penis, Vagina und Masturbation
Mittlerweile gibt es viele
Kniffliger wird dann die Weitergabe von so großen, komplexen Themen wie Geschlechterrollen. Wie verhalten sich
Ideale und Flirttrainer
Bevor das Video im Browser startet, spielt sich automatisch eine Kondomwerbung ab. Zweimal hintereinander. Ein Gummi, das auch wirklich zum Höhepunkt führt – mit dem Hashtag #OrgasmsForAll –, wird da angepriesen. Danach beginnt das Video
Dieses Format des Senders n-tv war im Jahr 2015 eines der ersten, das den vielen Geflüchteten von damals aus größtenteils arabischen Ländern ihre neuen deutschen Nachbarn näherbringen sollte. Bei diesem und ähnlichen Projekten lag der Fokus erst einmal darauf, zu informieren, was in der Bundesrepublik legal und illegal ist. Vor allem Homosexualität und Frauenrechte galten als Neuland, die man den Neuankömmlingen schonend beibringen wollte.
Deutschland im Sommer 2015 – das waren vollgeschriebene Broschüren darüber, wie das Zusammenleben in Deutschland nach Schema F funktionieren soll, frei von Diskriminierung.
Dass es
Mit den Sexualstraftaten in der
Wie finde ich eine
Darunter waren auch Flirttrainer, die Fragen zu sexuellen Vorlieben der deutschen Frauen beantworteten. Relative Bekanntheit erlangte der selbsternannte Liebesdoktor Horst Wenzel, der sogar eine eigene Flirtschule eröffnete. Augenkontakt, Zuhören, Respekt und Toleranz stünden dabei immer ganz oben auf der Tagesordnung, er gab aber auch ganz
So wirklich abgekühlt ist die Debatte um Geflüchtete seitdem nicht. Mittlerweile konnten sich aber Formate entwickeln, die nicht nur die sexuellen Werte der Geflüchteten differenziert sehen – sondern auch die innerhalb der deutschen Gesellschaft.
Komm, mein Schatz!
In Münster sitzen 3 Männer im Jugendzentrum des Paul-Gerhardt-Hauses, die so gar nichts von Flirt-Crashkursen halten. Jonas Blankenagel, Fadi Aleid und Jan Brinker gestalten das pädagogische Projekt
»Wir wollen Dialoge und Gespräche mit den Jugendlichen anregen, daher war auch die Teamzusammensetzung wichtig. Wir wollten verschiedene Perspektiven zusammenbringen«, erklärt Jonas Blankenagel.
Jonas Blankenagel (25) macht seinen Master in Erziehungswissenschaften. Als er im vergangenen Jahr in einer Beratungseinrichtung mit geflüchteten Jugendlichen arbeitete, fragte ein langjähriger Bekannter ihn immer wieder über Kondome und Sex aus. Das gab Jonas Blankenagel die Idee zu einem Sexualpädagogik-Projekt. Doch erst mit den Syrern Fadi Aleid (23) und Wissam Alrayes (23), der nicht zum Interview im Jugendzentrum kommen konnte, machte er sich an die Umsetzung.
Wir haben verschiedene Meinungen und das ist gut so.
Es sind junge Männer, die der arabischen Aufforderung aus dem Projekttitel »Yalla Habibi!« – was so viel heißt wie »Komm, mein Schatz!« – folgen. Im Durchschnitt erscheinen 5 Neugierige pro Kurs. Dass nur Männer angesprochen werden, war eine bewusst pädagogische Entscheidung. Vor Frauen wollten sich die männlichen Kursleiter wegen der offensichtlich fehlenden Perspektive nicht stellen. Und auch so geht es in ihrem Projekt nicht konkret um Wege, eine Freundin in Deutschland zu finden.
»Der Sinn und Zweck des Projekts ist es, sich mit sich selber auseinanderzusetzen«, sagt Jan Brinker. Er arbeitet in der Fachstelle für Sexualität und Gesundheit bei der
Und dann kann ein Nachmittag im Jugendzentrum schon einmal lang werden: Fragen zu
Auch ihre Meinung über die eigene Familie, die Partnerwahl und Zwangsheirat wollen die Jugendlichen äußern. Hier vertreten die Macher des Projekts einen sehr liberalen Standpunkt: »Wir wollen den Jugendlichen vermitteln, dass Gesellschaft und Familie eigentlich keine Rolle in ihrer Liebesbeziehung spielen sollten«, sagt Jonas Blankenagel. Ist diese Denkweise für die Kursteilnehmer überhaupt auf ihr Leben übertragbar? »Wie bei jedem pädagogischen Projekt weiß man nicht, was die Person am Ende damit macht«, antwortet Blankenagel.
Wer ist dieser deutsche Mann?
Jugendliche brauchen Vorbilder. Diese Forderung kennt jeder. Warum nicht auch einen deutschen Mann, bei dem man sich als Geflüchteter ein paar Sachen abgucken könnte? Eine grauenhafte Idee, findet Jonas Blankenagel:
Ich wollte mich nicht als deutscher Mann allein vor die Jugendlichen stellen und erklären, dass das in Deutschland so und so zu funktionieren hat. Das fände ich sehr anmaßend.
Generell lehnt er es ab, Deutschland als Wertesystem in die Kurse einzubringen: »Es gab schon pädagogische Fachkräfte, die uns dazu aufgefordert haben, deutsche Gesetze zu vermitteln. Ich habe aber ein Problem mit einigen Gesetzen, zum Beispiel
Kommt der Kurs bei sexualisierter Gewalt und konsensualem Sex an, gelten für Jonas Blankenagel und die anderen Teammitglieder konkrete Grenzen. Nämlich die eigenen und die des Gegenübers. »Egal welcher Kultur du angehörst oder woher du kommst – diese Grenzen sind universell gültig.«
Das Feedback der Jugendlichen war bis jetzt positiv. Sie schätzen den geschützten Raum, in dem sie auch über ihre Ängste sprechen können. 2 Jahre nach den schrecklichen Vorfällen in der Kölner Silvesternacht spüren sie die Stigmatisierung von sexualisierter Gewalt und Herkunft.
Wir hören, dass Jungen beschimpft wurden, dass sie Täter seien.
Auch darüber reden sie. Daran ändern können sie erst einmal nichts, außer geflüchtete Jugendliche in gesellschaftliche Diskurse zum Thema sexualisierte Gewalt zu integrieren. Denn die fallen meist dem destruktiven
Nicht diskriminieren, alle tolerieren!
Das Projekt der 3 aus Münster stimmt nachdenklich darüber, welche Vorstellung von Zusammenleben wir anderen vermitteln. Noch im Jahr 2015 klang das sehr nach einem Idealbild: nicht diskriminieren, alle tolerieren! Dass auch Deutschland noch auf dem weiten Weg Richtung Toleranz ist, haben die Geflüchteten in den vergangenen Jahren am eigenen Leib erfahren dürfen.
Was vielleicht mit Kondomen, Sex und Liebe beginnt, endet also schnell bei großen gesellschaftlichen Fragen, die auch die deutsche Mehrheitsgesellschaft betreffen. Projekte wie »Yalla Habibi!« sind in Deutschland noch rar gesät. Oftmals fehlen die Finanzierung und das erfahrene Personal. In ländlichen Gebieten noch mehr als in Städten, sagt Jan Brinker von der Aidshilfe. Dabei könnten solche pädagogischen Integrationsprojekte, die nicht belehren, sondern aufklären, eine große Wirkung in beide Richtungen entfalten.
Titelbild: Michael Prewett